Schisport und Wissenschaft

Der vorliegende Beitrag beschäftigt sich mit der historischen Entwicklung �Schisport und Wissenschaft�.

Im Vordergrund soll die Genese der heute nicht mehr wegzudenkenden Zusammenarbeit zwischen Schisport-Praxis und wissenschaftlicher Forschung stehen.

Der Schisport, gemeint ist der Wettkampfsport mit all seinen Disziplinen, war von Beginn an geprägt durch die Begriffe Leistung und Erfolg und wesentlich bestimmt durch ein �nationales� Denken. Das heißt, Erfolge im Skisport erweckten schon frühzeitig (vor dem 2. Weltkrieg) allgemeines Interesse und spätestens mit der Gründung des alpinen Weltcups 1967 gab es nicht nur anlässlich von Großveranstaltungen wie Olympische Spiele oder Weltmeisterschaften  �Ländermatchstimmung�, sondern jedes Weltcupwochenende entwickelte sich zu einem nationalen Kräftemessen. Das regelmäßige Aufeinandertreffen der Schielite, der Kampf um Spitzenplatzierungen und der damit verbundene �nationale Stolz�, führten zu gravierenden Veränderungen in der Planung und Vorbereitung.

Die Franzosen waren zu dieser Zeit hinsichtlich Professionalität im Schisport führend und dürften wohl auch die ersten gewesen sein, die sich wissenschaftlich mit der Thematik Rennsport beschäftigten.

Nicht zufällig dominierte Frankreich den alpinen Schisport in den 60er Jahren und Namen, wie Jean Claude Killy, Marielle und Christine Goitschel, Guy Perillat, Adrien Duvillard klingen auch heute noch.  Honore Bonnet, der großer Schigeneral, verstand es, sich der damals aufkeimenden und nach Eigenständigkeit trachtenden �Sportwissenschaften� zu bedienen.

Als Antwort auf die Großmacht Frankreich und antagonistisch zu Bonnet verpflichtet der Österreichische Skiverband Prof. Franz Hoppichler als �akademischen� Teamchef (1967).

Er versteht es, mit starker Unterstützung des ÖSV�s und des seit 1971 gegründeten Austria Ski-Pools, für die damalige Zeit professionelle Rahmenbedingungen für den Spitzensport zu schaffen.

Dazu zählt auch die �universitäre� Annäherung. Die Universität Innsbruck, die 1968 mit Univ. Prof. Dr. Friedrich Fetz einen brillanten Wissenschafter für den neu geschaffenen Lehrstuhl �Theorie der Leibeserziehung� gewinnt, wird zum kompetenten Partner in sportwissenschaftlichen Angelegenheiten.

Prof. Fetz ist es auch, der - neben vielen Beiträgen und Anregungen - mit seinen biokinematischen Studien betreffend Zieleinfahrtstechniken, bedeutende Erkenntnisse  dem  Schisport liefert (Veröff. 1977).

Sein Assistent Dr. Elmar Kornexl versucht durch Untersuchungen �anthropometrischer Merkmale alpiner Schirennläufer� Anhaltspunkte für die oft nicht leichte und nicht immer unumstrittene Kadererstellung, bzw. Talentauswahl zu liefern (Veröff. 1975, 1976).

Bahnbrechend in der Zusammenarbeit zwischen Schipraxis und Theorie ist die von Kornexl breit angelegte empirische Studie über das sportmotorische Eigenschaftsniveau des alpinen Schirennlaufs (Habil. 1977) Die allgemein unter �Kornexl-Test� bekannten sportmotorischen Untersuchungen tragen wesentlich zur Verbesserung und Optimierung der diagnostischen und prognostischen  Trainingsarbeit bei.

In der Folge bietet die biomechanische Forschung von  Dr. Erich Müller einen verbesserten Einblick in die verschiedenen Schwungtechniken im alpinen Schisport und die Spurenanalysen von Dr. Werner Nachbauer erweitern die bewegungsdiagnostischen Erkenntnisse.

Mit ausgewählten Problemen der Biomechanik des alpinen Schilaufs beschäftigt sich  auch Horst Allmann (Deutschland, 1981).

Erwähnt werden sollen zudem die biomechanischen Arbeiten von Scerbakov / Nikonov (Moskau 1979) und Vdovicenko (Moskau 1980) den nordischen Schisport betreffend, sowie die Entwicklung eines Schirobertes durch Shiro Shimizu, mit dessen Hilfe sich Möglichkeiten objektiver Technik- und Belastungsanalysen eröffnen sollten. Die österreichische Schipraxis nimmt davon aber kaum Notiz.

Ist die erste Phase der  Zusammenarbeit zwischen Wissenschaft und Schipraxis schwerpunktmäßig durch biomechanische und sportmotorische Fragestellungen gekennzeichnet, so zeichnet sich in der Folge (etwa ab Anfang/Mitte der 80er Jahre) ein verstärkt handlungsorientierter Forschungsansatz ab. Die  �Theorie der Leibeserziehung� als Bewegungswissenschaft entwickelt sich zu einer interdisziplinären �Sportwissenschaft�.

In diese zweite Phase fallen auch die  Studien von Fetz und Müller (1984) über die Bedeutung der Bewegungsvorausnahme im Schilauf auf die komplexen Handlungszusammenhänge, sowie  die Beiträge von Arthuro Hotz (1982) über bewegungspsychologische Aspekte.

Konnte Prof. Baldur Preiml, nordische Trainerlegende, bereits in den 70er Jahren über esoterische Ansätze mentale Stärken aktivieren, so wendet man sich in den �80ern� verstärkt wissenschaftlich fundierten sportpsychologischen Methoden zu.

Praxisrelevante Impulse gehen vor allem von Deutschland aus und verstärken das Körper-Geist-Seele Bewusstsein im Schisport.

Die Sportmedizin gewinnt immer mehr an Bedeutung. Neben Serviceleistungen, wie trainingsbegleitende Leistungsdiagnostik, wird vermehrt auf die Entwicklung von Betreuungs- und Belastungsmodellen für den Nachwuchs- und Spitzensport geachtet.  Fragen zur Energiebereitstellung, zum Höhentraining, zur Nahrungssupplementation, zu Regenerations- und Rehabilitationsmaßnahmen rücken zunehmend in den Vordergrund und beschäftigen die sportmedizinische Forschung.

Kurzer historischer Abriss: Die ersten Untersuchungen im Bereich der Leistungsdiagnostik und Sporttauglichkeitsüberprüfung gab es im Jahr 1964 in Tirol in Innsbruck im Institut für Sportmedizin des Landes Tirol. In Kärnten bestand erstmals 1977 die Möglichkeit eine derartige Untersuchung in Anspruch zu nehmen (Untersuchungsstelle im LKH Klagenfurt unter der Leitung von Prim. Dr. Hebein). 1994 wurde im Rahmen der Neustrukturierung dieser Untersuchungsstelle das Institut für Sportmedizin des Landes Kärnten gegründet (ISMK unter der Leitung von Dr. Karl Schnabl, Olympiasieger 1976). Erst die Inbetriebnahme dieses fachübergreifenden Institutes (Sportmedizin, Sportwissenschaft und Sportpsychologie) ermöglichte es einer großen Anzahl von Kärntner Nachwuchs- und LeistungssportlerInnen, insbesondere den LSVK Kaderathleten (Kader alpin, und nordisch und Snowboarder), sportmedizinische Untersuchung in Anspruch nehmen zu könne bzw. bei Bedarf auch eine über den sportmedizinischen Bereich hinausreichende Betreuung zu erhalten.

Aus der Sicht des Österreichischen Schisportes verdient es Univ. Prof. Ernst Raas, Referent für Medizin und Wissenschaft und Leiter des Wissenschaftlichen Beirates im ÖSV, als �sportmedizinischer Pionier� besonders hervorgehoben zu werden.

Verfolgt man die Entwicklung der Partnerschaft Wissenschaft und Schisport, so lässt sich auch eine dritte Entwicklungsphase festlegen.

Ausgelöst wird diese Phase wohl durch den enormen Leistungsdruck, der auf Aktive wie Betreuer lastet - hervorgerufen durch das verstärkte mediale und wirtschaftliche Interesse, die gestiegenen Vermarktungschancen für Teams, Einzelsportler und Veranstaltungen, nicht zuletzt auch durch das Streben nach Perfektionismus am Materialsektor. Nur mit Hilfe einer permanente wissenschaftlichen Begleitung und Betreuung sollte die Fülle der anstehenden Aufgaben effektiv zu lösen sein.

Der Österreichische Skiverband mit seinen Präsidenten Peter Schröcksnadel gründet 1992 eine eigenen Abteilung für Forschung und Entwicklung unter der Leitung von Dr. Raimund Berger und später  Univ. Prof. Dr. Werner Nachbauer.

Das Betätigungsfeld ist groß. Besonders herausfordernd sind Materialentwicklung und individuelle Abstimmung der Skiausrüstung auf Sportler und Umwelt. Praxisrelevante Tests zur Druckverteilung, Kinematik oder Aerodynamik werden konzipiert, modernste Messmethoden kommen dabei zum Einsatz. In Zusammenarbeit mit dem Institut für biomechanische Analysen im Sport und interdisziplinäre Studien (BASIS) den Instituten für Sportwissenschaften Innsbruck und Salzburg werden für den nordischen und alpinen Schisport revolutionäre Erkenntnisse gewonnen.

Mit Univ. Prof. Dr. Werner Nachbauer,  Sportwissenschafter an der Universität Innsbruck, steht dem (österreichischen) Skisport ein Experte für kinesiologische Aspekte zur Verfügung. Biokinetische und biodynamische Technikanalysen, Belastung des Bewegungsapparates und Theorie des Skigleitens sind nur einige Schwerpunkte seiner umfassenden Forschungsarbeit.

Bedeutende trainingswissenschaftliche Impulse gehen auch von Univ. Prof. Dr. Erich Müller aus, Vorstand des Institutes für Sportwissenschaften der Universität Salzburg. Auf Grundlage seiner biomechanischen Bewegungs- und Belastungsanalysen im alpinen und nordischen Skilauf, im Skispringen und beim Snowboarden entwickelt er sportartspezifische Trainingsmethoden in den Bereichen Krafttraining, Kraftausdauertraining, Schnelligkeitstraining Koordinationstraining und Techniktraining.

Eine großartige Zusammenarbeit  im nordischen Skisport entsteht mit Wolfgang Müller (A.o. Univ.Prof, Graz). Mit der Entwicklung eines verbesserten Mass Index (MI) beeinflusst er den Sprunglauf wesentlich. Darüber hinaus liefern seine wissenschaftlichen Ergebnisse vertiefte Einsichten in die Grundlagen des Trainings von Spitzensportlern im alpinen und nordischen Schisport.

Es ließen sich noch viele Beispiele an praxisrelevanter Forschung auflisten. Denn in allen Bereichen des Schirennsportes wird nach präzisen Antworten gesucht um das Netz der Erkenntnisse immer feiner auszulegen. Es bleibt aber eine Menge ungeklärter Phänomene und der Sportler mit seiner Leistung wird letztendlich unberechenbar bleiben - und das ist wohl die Faszination am Sport.

Dr. Raimund Berger, 2009